Veröffentlicht am: 9. Dezember 2025Von: Kategorien: Strategie

Der Verband „Die Familienunternehmer“ öffnet sich für Gespräche mit der AfD, Rossmann und regionale Initiativen wie WIN Münster ziehen klare Grenzen, dm gerät in Erklärungsnot. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich KMU öffentlich mit Politik beschäftigen müssen.

Was ist passiert?

Der Verband „Die Familienunternehmer“ hat im Herbst 2025 seine bisherige Brandmauer zur AfD faktisch aufgegeben. Sie lud bei einem parlamentarischen Abend in Räumen der Deutschen Bank in Berlin erstmals AfD-Abgeordnete ein. Verbandspräsidentin Marie-Christine Ostermann begründete das damit, man müsse die Partei „inhaltlich stellen“, reine Ausgrenzung sei gescheitert. Mittlerweile rudert sie zurück und bezeichnet die Einladung von AfD-Politikern als Fehler.

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten:

  • Rossmann, Vorwerk und weitere Traditionsunternehmen erklärten ihren Austritt aus dem Verband und verwiesen auf die Unvereinbarkeit zwischen AfD-Öffnung und den eigenen Werten.
  • Die Deutsche Bank kündigte an, dem Verband künftig keine Räumlichkeiten mehr zur Verfügung zu stellen.
  • Medien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Akteure sprechen von einem „fatalen Signal“ und einem bröckelnden Schutzwall gegen eine in Teilen rechtsextreme Partei.

Mitten in dieser Gemengelage befindet sich dm. Die Drogeriekette betont, man sei bereits „vor vielen Monaten“ aus dem Verband ausgetreten, gleichzeitig wirbt dm-Chef Christoph Werner öffentlich für weniger „Brandmauer-Debatte“ und mehr „sachliche Auseinandersetzung“ mit AfD-Politiker:innen

Das Ergebnis:
Tausende Kommentare in sozialen Netzwerken, Boykottaufrufe, Kund:innen, die ankündigen, zu Rossmann zu wechseln, und ein Unternehmen, das erklären muss, wie Austritt aus dem Verband und distanzierte Aussagen zur Brandmauer zusammenpassen.

Wer steckt hinter „Die Familienunternehmer“?

Der Verein „Die Familienunternehmer“ versteht sich als Stimme der Familienunternehmen in Deutschland, also der Eigentümer:innen geführten Unternehmen des Mittelstands. Er vertritt zwar nur einen Bruchteil der real existierenden Familienunternehmen, genießt aber hohe Sichtbarkeit in Berlin und positioniert sich klar wirtschaftsliberal, steuer- und regulierungskritisch.

Damit ist er für viele Unternehmen Teil ihrer politischen Infrastruktur:

  • Zugang zu Politik und Verwaltung
  • Netzwerke mit anderen Unternehmer:innen
  • Plattform für Positionen zu Steuer-, Arbeitsmarkt- und Europapolitik

Wenn ein solcher Verband seine Brandmauer zur AfD einreißt, ist das kein Randereignis, sondern ein Signal in die politische und wirtschaftliche Öffentlichkeit. Mitgliedsunternehmen geraten damit automatisch in Erklärungsdruck, ob sie die Position des Verbandes teilen und wenn nicht, welche Konsequenzen sie daraus ziehen.

Gerade hier zeigt sich: Verbandskommunikation ist Unternehmenskommunikation. Wer zahlt, steht mit im Raum.

Drei Reaktionsmuster: dm, Rossmann, WIN Münster

Schauen wir auf drei sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage, wie man sich positionieren kann.

dm: Austritt ohne klare Geschichte

dm betont, man habe den Verband bereits vor Monaten verlassen. dm kommunizierte das allerdings erst, als die Kritik im Netz massiv wurde. Parallel dazu stellt sich der dm-Chef öffentlich gegen eine „polarisierende Brandmauer-Debatte“, lehnt aber Positionen der AfD ab, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage stellen.

Kurz gesagt: Formal gibt es eine Distanz zum Verband, die Rhetorik zur Brandmauer ist allerdings ambivalent. Für viele Kund:innen wirkt das wie der Versuch, sich politisch nicht festlegen zu wollen. Das löst Irritationen aus, gerade bei Menschen, die dm mit Vielfalt, einem Wohlfühlimage und gesellschaftlicher Verantwortung verbinden. Eine wahrgenommene Nähe zu einer rechtsextrem eingestuften Partei passt nicht zu dieser Erwartung.

Screenshot eines Social-Media-Beitrags zur dm-Filiale mit Kommentaren zur Debatte um die politische Abgrenzung des Unternehmens zur AfD
Reaktionen aus Social Media auf die Positionierung von dm

Rossmann: Klarer Austritt als Botschaft

Rossmann hingegen macht es anders: Nachdem die Öffnung des Verbands zur AfD öffentlich wird, kritisiert die Drogeriekette das deutlich und tritt aus dem Verband aus mit der klaren Begründung, dass das mit den eigenen Werten nicht vereinbar ist.

Kommunikativ bedeutet das:

  • Die Handlung und die zuvor kommunizierte Haltung stimmen überein.
  • Kund:innen und Öffentlichkeit können nichts „hineininterpretieren“.

Rossmann wirkt dadurch nicht politisierender, sondern verlässlicher. Die Marke signalisiert: „Hier ist die Linie, hier ziehen wir sie.“

WIN Münster: Regionale Wirtschaft mit klarer Brandmauer

Sie sind nicht Rossmann oder dm? Fair, aber auch für kleine Marken ist die aktuelle Diskussion spannend. Schauen wir uns eine lokale Initiative an. Die Wirtschaftsinitiative Münster (WIN) hat sich ebenfalls positioniert. Sie betont öffentlich, dass die „Brandmauer“ zur AfD für sie weiterhin gilt und dass eine Einladung oder Zusammenarbeit mit AfD-Vertreter:innen ausgeschlossen ist. Begründung: Ideologien, die Menschen ausgrenzen oder demokratische Grundwerte relativieren, seien mit den Werten der Initiative nicht vereinbar.

Damit macht WIN ein paar Dinge, die viele Verbände und Unternehmen vermeiden:

  • Sie benennt das Thema direkt.
  • Sie legt Werte und rote Linien offen.
  • Sie nimmt ihren Mitgliedern die Notwendigkeit, sich zu jedem Einzelfall zu äußern, weil der Rahmen klar ist.

Unternehmen, die in WIN organisiert sind, profitieren davon. Sie müssen sich nicht zusätzlich fragen, ob ihr Netzwerk sie politisch „unterminiert“.

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Klaus Baumann

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Was Mittelständler:innen daraus lernen können

Es geht hier nicht darum, ob man persönlich eher auf „harte Brandmauer“ oder „kritischen Dialog“ setzt. Entscheidend ist, was man kommunikativ verantworten kann.

Drei Lektionen stechen heraus:

  1. Verbände sind Teil Ihrer Markenlandschaft.
    Wer Verbandslogos auf der Website führt, Verbandsveranstaltungen besucht oder die Mitgliedschaft in Pitches erwähnt, verknüpft sein Image mit den Entscheidungen dieses Verbandes. Wenn der Verband seine Linie ändert, ändert sich auch der Kontext Ihrer Marke.
  2. Werte sind nichts wert, wenn sie im Ernstfall nicht wehtun dürfen.
    Viele Unternehmen schreiben sich Respekt, Vielfalt und Demokratie in Leitbilder. Erst, wenn diese Werte dazu führen, dass man auf Vorteile verzichtet, etwa auf Verbandseinfluss, Märkte oder Partnerschaften, werden sie glaubwürdig. Rossmann ist hier ein Beispiel, dm im Moment ein warnender Kontrast.
  3. Unschärfe ist das größte Risiko.
    Reine Distanzierungsfloskeln („Wir lehnen Extremismus ab“) werden im Zweifelsfall als Schutzbehauptung gelesen, wenn Handlungen und Kontexte etwas anderes nahelegen. Kund:innen und Mitarbeitende sehen genauer hin als früher. Schweigen oder Zickzackkommunikation füllen andere mit ihren Geschichten.

Fragen, die Sie Ihrem Verband jetzt stellen sollten

Statt sich erst im Shitstorm zu sortieren, lohnt sich eine nüchterne Risikoanalyse. Diese Fragen gehören darin auf den Tisch:

  1. Welche Parteien oder politischen Akteure können bei unseren Verbänden Bühnen bekommen?
    Gibt es formelle oder informelle Kontaktverbote? Wie stabil sind diese?
  2. Welche Werte sind im Verband verbindlich und wie werden sie überprüft?
    Gibt es klare Positionen zu Demokratie, Menschenrechten, Vielfalt? Oder nur allgemein gehaltene Selbstbeschreibungen?
  3. Was passiert, wenn es zum Bruch kommt?
    Haben Sie intern durchgespielt, ob und wann Sie einen Austritt erklären würden? Und wie Sie das gegenüber Mitarbeitenden, Kund:innen und Öffentlichkeit kommunizieren?
  4. Wer spricht im Krisenfall für Ihr Unternehmen?
    Gibt es vorbereitete Rollen und Botschaften für den Fall, dass Verbandshandeln auf Ihre Marke zurückschlägt?
  5. Was sagen Ihre Mitarbeitenden dazu?
    Politische Signale beeinflussen nicht nur Kund:innen, sondern auch Ihre Employer Brand. Wer Vielfalt predigt und in Verbänden schweigt, die nach rechts rücken, verliert Glaubwürdigkeit im eigenen Team.

Wie Sie sich kommunikativ vorbereiten können

Daraus ergeben sich konkrete Schritte. Zunächst lohnt sich eine Inventur aller Verbände und Netzwerke, in denen das Unternehmen Mitglied ist. Dazu gehört eine vollständige Liste aller Mitgliedschaften, Förderkreise und Initiativen und eine Einordnung, welche davon politisches Gewicht haben und welche rein fachlich sind. Eine kurze Risikoabschätzung aus Kommunikationssicht hilft dabei, mögliche Konflikte früh zu erkennen.

Im zweiten Schritt sollten Werte und rote Linien verbindlich definiert werden. Zwei bis drei Sätze genügen, um die eigene Grundhaltung zu demokratischer Ordnung, Menschenwürde und Vielfalt klar zu formulieren. Dazu gehört ein interner Konsens darüber, ab welchem Punkt eine Mitgliedschaft endet, weil sie nicht mehr zu diesen Werten passt.

Drittens empfiehlt es sich, Szenarien durchzuspielen. Was tun Sie, wenn ein Verband AfD-Vertreter einlädt oder wenn sich eine Partnerorganisation radikalisiert? Wer bereitet in solchen Fällen Statements vor, wer spricht öffentlich, wer übernimmt Interviews?

Viertens sollte Kommunikation vorbereitet sein, bevor es brennt. Dazu gehört ein kurzer, verständlicher Textbaustein, mit dem Sie im Ernstfall Ihren Schritt erklären können, sowie ein internes FAQ für Mitarbeitende, damit nicht jede Führungskraft eigene Interpretationen verbreitet.

Und fünftens: Stärken Sie lokale Netzwerke, die Haltung zeigen. WIN Münster ist ein Beispiel dafür, wie regionale Wirtschaft sichtbar demokratische Linien zieht. Unternehmen, die sich bewusst in einem solchen Umfeld bewegen, reduzieren Reputationsrisiken und gewinnen zugleich an Attraktivität für Mitarbeitende.

Fazit: Haltung ist kein politisches Hobby

Der Streit um die Brandmauer zur AfD ist kein Randthema für politisch besonders aktive Unternehmen. Er ist ein Stresstest dafür, ob Werte und Kommunikation zusammenpassen. Der Verband „Die Familienunternehmer“ zeigt, wie sehr sich wirtschaftliche Interessen und politische Normalisierung überlappen.

Rossmann, Vorwerk und andere liefern Beispiele, wie man durch klare Entscheidungen Glaubwürdigkeit gewinnt. dm erlebt, wie schnell eine als „ausgewogen“ gemeinte Haltung als Unschärfe wahrgenommen wird. Und auch wer keine Lovebrand oder deutschlandweit bekannte Marke hat, sollte sich fragen, welche Werte er vertritt. WIN Münster zeigt, dass wirtschaftliche Netzwerke sehr wohl in der Lage sind, rote Linien zu ziehen und diese öffentlich zu benennen.

Die eigentliche Frage für Mittelständler:innen lautet deshalb nicht: „Wollen wir uns mit der AfD beschäftigen?“ Sondern: „Wie klar sind wir, wenn andere unsere Werte aufs Spiel setzen?“

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zum Autor

Julius Brockmann

Julius Brockmann verantwortet die Unternehmenskommunikation bei Sputnik und begleitet als Volo-Betreuer den PR-Nachwuchs der Agentur. Er berät Kunden zu Positionierung, Sichtbarkeit und strategischer Kommunikation. Mit einem Studium der Medien- und Politikwissenschaft an der FAU Erlangen-Nürnberg bringt er ein fundiertes Verständnis für gesellschaftliche Dynamiken und mediale Wirkmechanismen mit. Seine Wurzeln liegen im Journalismus: Seit dem Studium schreibt er für regionale Tageszeitungen und Fachmedien. Privat betreibt er den Blog www.ruhrwohl.de zu den Themen Food, Interior und Reise.