Veröffentlicht am: 27. Oktober 2023Von: Kategorien: PR

Mehr als 15.000 Unternehmen müssen demnächst Nachhaltigkeitsberichte erstellen. Doch reicht die Fokussierung in der Nachhaltigkeitskommunikation auf einen jährlichen Report? Und wie können auch kleine und mittelständische Unternehmen, die nicht dazu verpflichtet sind, von Nachhaltigkeitskommunikation profitieren? Im Interview bietet uns Expertin Carina Wübbels einen Einblick in ein interessantes Kommunikationsfeld.

Bevor Carina Wübbels in die Unternehmenskommunikation und das Nachhaltigkeitsmanagement von Unternehmen der Finanz- und Immobilienbranche wechselte, war sie langjährig PR-Beraterin für B2B- und B2C-Unternehmen bei Sputnik. Freiberuflich ist sie als Journalistin und Kommunikationsberaterin aktiv.

Liebe Carina, das Thema Nachhaltigkeit wird in Kommunikationskreisen seit Jahren rauf und runter gebetet. Für alle, die sich bislang wenig damit beschäftigt haben: Was bedeutet Nachhaltigkeitskommunikation und warum ist sie wichtig?

Bevor wir auf die Nachhaltigkeitskommunikation im Speziellen gucken, sollten wir zuerst über Nachhaltigkeit grundsätzlichen sprechen. Denn, wenn vom großen Thema Nachhaltigkeit die Rede ist, ist oft ausschließlich die ökologische, die „grüne“ Seite, gemeint. Nachhaltigkeit hat aber drei Dimensionen: Environmental (Ökologie), Social (Soziales) und Governance (Ökonomie) – kurz ESG.

Ich bin der Meinung, dass Nachhaltigkeitskommunikation zum einen die Aufgabe hat, über die Nachhaltigkeit und ihre Ausprägungen zu informieren, das heißt Transparenz zu schaffen und einen Dialog anzubieten. Auf der anderen Seite ist Nachhaltigkeitskommunikation eine Disziplin in der Unternehmenskommunikation und verfolgt im besten Fall Ziele. Somit verdienen die Nachhaltigkeitskommunikation, und auch das -management, meiner Ansicht nach die gleichen Maßstäbe und Anforderungen: eine Strategie, ein Konzept, Zeit- und Maßnahmenplanung, Evaluation.

Wie kann die Nachhaltigkeitskommunikation effektiv die gesetzten Ziele erreichen?

Nachhaltigkeitsmanagement und die -kommunikation sind interdisziplinär. Ich persönlich finde es wichtig und unabdingbar für ihren Erfolg, dass sie in das unternehmerische Selbstverständnis übergehen, dass Verantwortung übernommen wird und über die Informationen ein Bewusstsein geschaffen wird. Nachhaltigkeit hat übrigens viel mit Change-Prozessen gemein. Speziell in der Nachhaltigkeitskommunikation sollte es meiner Meinung nach nicht nur darum gehen, Risiken aufzuzeigen und Schreckensszenarien darzustellen. Chancen und Transformationsmöglichen sollten ihren Raum finden.

Wie hat sich die Nachhaltigkeitskommunikation in den vergangenen Jahren entwickelt?

Nachhaltigkeit ist quasi omnipräsent, in Diskussionen, in sämtlichen Medien sowie Branchen und auch in den Büros der Unternehmenskommunikation. Manchmal bekommt man den Eindruck, Nachhaltigkeit ist zu einem Buzzword geworden und ziert so manches Bullshit-Bingo. Die Alarmglocken, die losschrillen, wenn es um einen nachhaltigen Lebensstil, nachhaltiges Wirtschaften oder den Generationenvertrag geht, sind bei einigen sicherlich im Dauereinsatz. Auf der anderen Seite gibt es eine Erwartungshaltung an Unternehmen, sich nachhaltig aufzustellen und zu engagieren: von Mitarbeitenden, Kundinnen und Kunden, Stakeholdern und der Gesetzgebung.

Angesichts dieser omnipräsenten Nachhaltigkeitsdiskussionen, welche konkreten Veränderungen in der Unternehmenskommunikation hast Du beobachtet?

Die Kommunikation zu Nachhaltigkeitsthemen hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, ebenso das gesellschaftliche Interesse. Sicherlich bewegen wir uns alle in unseren Bubbles und können von einem subjektiven Empfinden berichten. Eine Gefahr sehe ich dabei: Es ist zu beobachten, dass Nachhaltigkeitsaspekte „ins Schaufenster gestellt werden“, ohne viel Substanz oder einen Beitrag zur Erreichung von Zielen zu liefern.

Als negative Trends haben sich sicherlich das Green- und auch das Bluewashing etabliert. Beim Greenwashing wird vorgeworfen, sich ein „grünes“ Image durch Marketing und Kommunikation verpassen zu wollen. Beim Bluewashing hingegen, vielleicht etwas unbekannter, stehen das soziale Engagement und das ethische Handeln im Vordergrund und werden strapaziert. Das Pinkwashing, das ihr im Sputnik-Blog anlässlich des Pride Month behandelt habt, gibt es natürlich leider ebenfalls.

Wie wichtig ist Transparenz in der Nachhaltigkeitskommunikation, insbesondere wenn es um Umweltauswirkungen und soziale Verantwortung geht?

In der Nachhaltigkeitskommunikation sind Transparenz und Definitionen sehr wichtig, wenn nicht, gemeinsam mit Authentizität, die wichtigsten Faktoren. Neben einem ganzen Dschungel an Gesetzen, Abkürzungen, Regeln und Diskussionen können sich Aussagen recht schnell verändern, wenn man etwas genauer hinsieht. Ein Beispiel ist der CO2-Fußabdruck: Bezieht er sich in der Definition auf den eigenen Geschäftsbetrieb, erstreckt er sich über Scope eins bis drei (direkte und indirekte Treibhausgase im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit) oder Zertifikate zur Kompensation gekauft?

Gleiches gilt für die soziale Verantwortung. Es gilt auch hier der Grundsatz „do no signficant harm“ (DNSH). Aktivitäten sind nur dann nachhaltig, wenn sie einen positiven Beitrag zu mindestens einem Nachhaltigkeitsziel leisten und dabei keinem anderen einen Schaden zufügen. Da betrifft beispielsweise auch die Menschenrechts- und Arbeitsstandards.

Welche Herausforderungen bestehen in der Nachhaltigkeitskommunikation?

Zur Nachhaltigkeitskommunikation gehört für viele Unternehmen auch ein Nachhaltigkeitsbericht – sei es freiwillig oder weil sie dazu verpflichtet sind. Unternehmen, die berichtspflichtig sind oder es in absehbarer Zeit werden, stehen vor der Herausforderung, die teilweise komplexen und kleinteiligen Anforderungen zu erfüllen. Das betrifft zum Beispiel die Datenbereitstellung und -aufbereitung. In den kommenden Jahren werden in Deutschland mehr als 15.000 Unternehmen und europaweit mehr als 50.000 Unternehmen verpflichtet sein, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Dafür sind eine Menge Vorarbeit, Datenbeschaffung und personelle Ressourcen notwendig.

Wie sieht es mit kleineren Unternehmen aus, die nicht berichtspflichtig sind?

Auch wenn sie nicht direkt berichtspflichtig sind, werden kleine Unternehmen gegenüber Geschäftspartnern Informationen bereitstellen müssen. Diese Ausweitung von Nachhaltigkeitsberichten und Standards für die Erstellung sowie Veröffentlichung soll für Transparenz sorgen und zur Beschäftigung mit dem Themenkomplex zwingen. Aus meiner Sicht besteht eine Herausforderung nicht nur in der Pflichterfüllung, sondern auch darin, wirklich zu überzeugen und zum Handeln zu motivieren. Ein interdisziplinäres Nachhaltigkeitsmanagement und eine strategisch geplante Nachhaltigkeitskommunikation sollte nicht die „Kür“ neben der Berichtspflicht sein, sondern das normale Business.

Welche Maßnahmen und Kanäle sind geeignet zur Verbreitung der eigenen Botschaft? Reicht denn die Fokussierung auf den Nachhaltigkeitsbericht?

Nachhaltigkeitsberichte sind, wenn man mit ihnen die Berichtspflicht erfüllt, sehr technisch und nicht gerade lesefreundlich. Auf der anderen Seite können Nachhaltigkeitsberichte, wenn sie als Corporate-Publishing-Produkt verstanden werden, durchaus ansprechend und die Basis für die Nachhaltigkeitskommunikation sein. Eine Fokussierung auf den Nachhaltigkeitsbericht würde ich aus Sicht einer Kommunikatorin keinesfalls empfehlen. Wenn Nachhaltigkeitsthemen und -aspekte konsequent in der Unternehmensführung und der Kommunikationsstrategie mitgedacht werden, ergibt es sich von selbst, dass ein Mix der Instrumente und Maßnahmen ein sinnvollerer Weg ist.

Welche Herausforderungen kommen auf Unternehmen zu, wenn sie diesen Mix an Maßnahmen angehen wollen?

Nachhaltigkeitskommunikation hat, wie so häufig, wenn es um immaterielle Dinge geht, das Problem, geeignete Bilder zu finden. Für ein interdisziplinäres Nachhaltigkeitsmanagement braucht es mehr als eine Bildwelt mit viel Grün, Bienen und E-Autos. Der Einsatz klassischer Stockbilder ist natürlich möglich, zeugt aber – wie immer – nicht gerade von Originalität.

Meiner Meinung nach ist es ein gutes Instrument, auf Entwicklungen und Zeitreihen zu setzen. Auch hier ist der CO2-Fußabdruck ein praktisches Beispiel.

Welche weiteren Maßnahmen hältst Du für relevant?

In der Nachhaltigkeitskommunikation kommen eine Vielzahl von Siegeln und Studien zum Einsatz. Aber auch hier gilt es, Vorsicht walten zu lassen und die Herkunft sowie die Basis zu hinterfragen, bevor man sie einsetzt.

Der Dialog mit externen Stakeholdern spielt in der Kommunikation von Nachhaltigkeitsthemen eine große Rolle. Konferenzen, Key Notes etc. sind in den vergangenen Jahren im Kommen und werden sicherlich noch weiter zunehmen. Best-Practice-Beispiele, eine Positionierung von Expert:innen und der Zusammenschluss in Netzwerken, auch zum Erfahrungsaustausch, sind probate Mittel – nicht nur für die Kommunikation, sondern auch im Nachhaltigkeitsmanagement.

Wir haben jetzt viel über Maßnahmen gesprochen, die nach außen gerichtet sind. Ist das Thema Nachhaltigkeit aber nicht auch vor allen Dingen für die eigenen Mitarbeitenden relevant?

Eine Trennung zwischen interner und externer Kommunikation zur Nachhaltigkeit funktioniert meiner Meinung nach auf jeden Fall nicht. Die Ansprache und die Botschaften sind sicherlich andere und unterscheiden sich auch nicht nur in Nuancen. Interne Nachhaltigkeitskommunikation ist an dieser Stelle Change-Kommunikation! Sie muss motivieren und den Informationsbedarf abdecken. Ein greifbares Beispiel ist die Reduzierung des Ressourcenverbrauchs: Die Mitarbeitenden sind ein großer Faktor für den Einsatz von Energie und Wasser, beispielsweise in einem Bürogebäude. Ohne ihr aktives Handeln ist eine Reduktion schwer möglich.

Du hast es eben selbst schon das Thema Glaubwürdigkeit angesprochen: Wie kann ein Unternehmen vermeiden, dass die Kommunikation als Greenwashing wahrgenommen wird?

Zuerst einmal: Ein Unternehmen sollte nur über Projekte und Maßnahmen sprechen, die es auch gibt. Nachhaltigkeitsbemühungen sollten meiner Meinung nach nicht als erstes ein Kommunikationsanlass sein, sondern vielmehr als dem eigenen Antrieb des Unternehmens geschehen. Ergibt sich daraus ein Anlass, umso besser.

Das Engagement sollte überprüf- und nachvollziehbar sein. Eine kontinuierliche Begleitung und Berichterstattung über Meilensteine hilft, mit Glaubwürdigkeit zu überzeugen, statt ins Greenwashing abzudriften.

Ist Nachhaltigkeit in einem Unternehmen strategisch verankert, sollen die Bemühungen auch auf Unternehmensziele einzahlen, das steht außer Frage. Das sind in der Regel Image- oder Vertriebsziele. Dagegen ist meiner Meinung nach auch nichts einzuwenden, in der Nachhaltigkeit stecken schließlich auch eine Menge Chancen. Häufig wird die Innenwirkung von Nachhaltigkeitskommunikation aber außer Acht gelassen. Auf das Employer Branding hat sie ebenfalls einen Einfluss, schließlich wird die Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit immer häufiger hinterfragt. Gibt es keinen Match zwischen den Vorstellungen der Mitarbeitenden und des Unternehmens, wird es schwierig mit der Glaubwürdigkeit, der Bindung der Mitarbeitenden und einer überzeugenden Nachhaltigkeitskommunikation.

Welche Chancen und welche Grenzen siehst Du für Unternehmen, die sich verstärkt dem Thema Nachhaltigkeit widmen wollen?

Grundsätzlich denke ich, dass kein Unternehmen, ob Konzerne oder KMU, um verstärkte Nachhaltigkeitsbestrebungen herumkommen wird. Auf der einen Seite gibt es zahlreiche Vorschriften und Gesetze, die, nach dem Green Deal der EU, in den kommenden Jahren schrittweise eingeführt werden. Anderseits wachsen Erwartungshaltungen von vielen Seiten beständig an. Doch Nachhaltigkeit ist viel mehr als das: Grenzen und Risiken treffen auf Chancen und Transformation. Das ist auch auf die Nachhaltigkeitskommunikation übertragbar.

Nachhaltigkeit ist kein Projekt, sondern vielmehr ein Weg mit vielen Meilensteinen sowie Möglichkeiten zu lernen und anschließend zu justieren.

Carina Wübbels, Expertin für Nachhaltigkeitskommunikation

Ein nachhaltiges Image entsteht nur durch ernstgemeinte Taten, nicht durch Berichterstattung. Chancen und Grenzen, oder klarer Risiken, entstehen genau dort. Worthülsen, Green-, Blue- oder Pinkwashing sind nicht zu unterschätzen. Unternehmen sollten sich auch bewusst machen, am besten direkt bei der Festlegung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie, dass dieser Themenkomplex mit starken Emotionen verbunden ist: Im besten Fall Identifikation und Stolz, im schlechtesten Fall Scham und Abkehr.

Abschließend würde ich gerne einen Blick in die Zukunft wagen. Wie wird sich das Thema Nachhaltigkeitskommunikation entwickeln?

Nachhaltigkeit ist erklärungsbedürftig. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten muss jedes Unternehmen seine Positionierung finden und in Maßnahmen überführen. Denn, Nachhaltigkeit ist kein Trendthema, das bald vom nächsten großen Ding abgelöst werden wird. Kurz gesagt – Nachhaltigkeit ist kein Projekt, sondern vielmehr ein Weg mit vielen Meilensteinen sowie Möglichkeiten zu lernen und anschließend zu justieren. Neben jeder Kommunikation und kleinteiligen Berichterstattung gilt es, das Warum nicht aus den Augen zu verlieren und die Nachhaltigkeitsziele mit Leben zu füllen.

Liebe Carina, vielen Dank für Deine Einschätzungen!

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zum Autor

Julius Brockmann

Julius Brockmann ist PR-Berater. Er leitet die Unternehmenskommunikation bei Sputnik und ist Volo-Betreuer. Vor seiner Zeit in der PR-Branche studierte er Medien und Politik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seit Anfang seines Studiums arbeitet er als freier Mitarbeiter für regionale Tageszeitungen sowie Special-Interest-Titel. Privat betreibt er den Blog www.ruhrwohl.de zu den Themen Food, Interior und Reise.