Veröffentlicht am: 10. April 2024Von: Kategorien: Social Media, Strategie

Die PR-Kampagne von Adidas zur EM 2024 in der Analyse

Das neue EM-Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft polarisiert – ebenso wie die begleitende PR-Kampagne von Adidas und dem DFB. Wir zeigen wie die unkonventionelle Trikotpräsentation für Aufsehen sorgte und Adidas gekonnt auf Kritik reagierte.

Schon Monate vor dem Start der Europameisterschaft im eigenen Land wird der Auftritt der deutschen Fußballnationalmannschaft heiß diskutiert. Der Sport selbst spielt dabei aber nur eine Nebenrolle. Bei der Präsentation des Trikotsatzes überraschten DFB und Ausrüster Adidas mit einem Novum: Neben dem Heimtrikot im klassischen Weiß kommt die Auswärtsvariante in einem knalligen Pink daher. Während man einerseits die Tradition der deutschen Nationalmannschaft fortführt, sollen zudem die neue Generation deutscher Fußballfans und die Vielfalt des EM-Gastgeberlandes abgebildet werden.

Dass dieser Schritt für Diskussionen sorgen wird, schien Adidas dabei schon lange klar gewesen zu sein. Der Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach startete parallel zum Launch des Trikots eine PR-Kampagne in Zusammenarbeit mit der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt. Diese nahm Kritik humorvoll vorweg und schlug damit voll ein. So erntete man neben rekordverdächtigen Verkaufszahlen auch viele positive Reaktionen auf die Art und Weise, wie der neue Dress vorgestellt wurde. Gelungene PR im Zusammenhang mit dem DFB war in den vergangenen Jahren eher Mangelware, daher nehmen wir einige Maßnahmen der letzten Wochen mal genauer unter die Lupe.

Das Heimtrikot – alles andere als „typisch deutsch“?

Ein knapp zweiminütiger Kampagnenspot stellte zunächst das Heimtrikot vor. Thematisch geht der Clip dabei weit über den Fußball hinaus. Als zu Beginn des Clips eine junge Frau gefragt wird, was sie vom neuen Deutschlandtrikot halte, entgegnet sie: „Typisch deutsch halt!“. Der Nationalspieler Serge Gnabry stellt daraufhin die Frage, was denn typisch deutsch eigentlich bedeute. In den nächsten rund zwei Minuten werden klassische Stereotypen und Vorurteile mit dem „neuen“ Deutschland kombiniert: Pünktlichkeit, Disziplin und deutsche Märchen stehen Eistee, Döner und kultureller Vielfalt gegenüber. Die unkonventionelle Herangehensweise wurde bewusst gewählt. Indem immer wieder ein Klischee das nächste bricht, sollen unterschiedliche Lebensweisen, Diversität und Vielfalt als das Typische an Deutschland herausgestellt werden. Neben den Nationalspielern selbst, geben authentische Protagonisten, wie Rapper RIN oder Internetstar Elias Nerlich, den Botschaften dabei ein Gesicht.

Kiosk und Dönerbude sorgen für einen frischen Anstrich

Besonders jüngere Zielgruppen, die Vielfalt und Offenheit leben, sollen so erreicht werden. Dass Adidas sich gut mit diesen beschäftigt hat, wird an den Schauplätzen deutlich: Ein Späti, eine Dönerbude oder ein in die Jahre gekommenes Mehrfamilienhaus – der Spot spielt im alltäglichen Deutschland der Gegenwart. In Fokusgruppen mit Nachwuchssportlerinnen und -sportlern sowie Freizeitkickenden wurde zuvor ein Konzept erarbeitet, um den Nerv der Jugend bestmöglich zu treffen und viral zu gehen.

Das Einblenden von Spielszenen des DFB-Teams sorgt dafür, dass der Bezug zum Sport dabei nicht verloren geht. Klassische deutsche Fußballklischees, wie gute Torhüter und Elfmeterschützen, sorgen hier letztendlich für den Siegtreffer, der sowohl vom Jugendlichen im Späti als auch vom Biertrinker in der Kneipe bejubelt wird. Der Fußball scheint das verbindende Element für unterschiedliche Lebensstile und Kulturen zu sein. Spielerisch und humorvoll lädt Adidas so das klassische weiße Trikot mit modernen Werten auf. Das ist sicherlich von Vorteil, wenn man damit Umsatz erzielen möchte.

Auswärts in Pink – Adidas kommt Kritik an EM-Trikot zuvor

Während das Heimtrikot zumindest optisch an seine Vorgänger erinnert, sorgte die Auswärtsvariante in ungewohnten Farben bei nicht wenigen für Verwunderung – oder besser gesagt für Empörung. Doch Adidas hat seine Hausaufgaben gemacht. Im Video zum Launch des zweiten Trikots wird negativen Reaktionen geschickt der Wind aus den Segeln genommen. Immer wieder poppen kritische Kommentare auf, welche von den Protagonisten im Video kommentiert werden. Eine Mischung aus Humor, Ironie und klaren Statements sollen Kritik entkräften oder gar lächerlich machen.

„Das Trikot will doch keiner haben“, heißt es direkt zu Beginn. „Was soll das sein? Ein Fashion Piece?“ Wie die Reaktion auf Kommentare dieser Art aussieht, wird schnell deutlich, wenn Model Lena Gercke voller Stolz erwidert: „Piece? Eher ein Fashion-Statement.“ Adidas vermarktet das Produkt als Bekenntnis zu Offenheit und Diversität –Themen, die im Profifußball oftmals immer noch Ablehnung und Spott gegenüberstehen.

Auch die Tatsache, dass DFB-Teams traditionell in Schwarz oder Weiß auflaufen, kann zu Kontroversen führen. Die Farbe Pink gab es in der langen Geschichte der Nationalmannschaft noch nie. Hier geht der Spot auf die Vorwürfe ein, dass der pinke Dress „kein Trikot für Legenden“ und „kein Deutschlandtrikot“ sei. Um sowohl auf verletztes Traditionsbewusstsein als auch auf gekränkte Männlichkeit zu antworten, setzt Adidas erneut auf die Strahlkraft deutscher Fußballstars. Thomas Müller und Rudi Völler, zwei starke Persönlichkeiten und gestandene Profisportler sprechen sich für das Design aus. „Richtig gut ist, dass sie schnell und vor allem sehr offensiv und mutig auf die Kritik geantwortet haben. Es wird mit bekannten Gesichtern dagegenhalten, die sich als männliche Identifikationsfiguren eignen“, äußert Felix Beilharz, Experte für Social-Media-Marketing, gegenüber dem RedaktionsNetzwerkDeutschland (RND). Wenn sogar Völler, der Latte Macchiato einst als „Frauengetränk“ betitelte, hinter der Idee steht, wird das schon okay sein. Im Kopf bleibt vor allem das Ende des Spots als Shootingstar Florian Wirtz der Aussage, dass das pinke Shirt kein Deutschlandtrikot sei, kurz und knapp entgegnet: „Doch ist es!“ Eine klare und deutliche Positionierung.

Mut der belohnt wird oder reine Imagepolitur?

Negative Kommentare als Aufhänger für die eigene PR zu wählen ist ein gewagter Schritt. Man rückt sie ins Rampenlicht und bietet ihnen eine Plattform. Darüber hinaus könnte das Video als „Eingeständnis, dass man sich rechtfertigen muss“ verstanden werden, sagt zumindest Social-Media-Experte Hendrik Unger dem RND. Die ungewöhnliche Strategie zahlt sich aber bisher aus. In den ersten 24 Stunden nach Veröffentlichung wurde der Spot bereits millionenfach geklickt. Außerdem scheint jede und jeder eine klare Meinung zu haben, sei es positiv oder negativ – jedenfalls sprechen die Menschen über das polarisierende Design. Der Hype um das Outfit und seine Präsentation „haben unsere Erwartungen übertroffen“, berichtete Adidas-Sprecher Oliver Brüggen dem Sport-Informations-Dienst. Bisher scheinen die neuen DFB-Trikots ein Erfolg zu sein.

Nachdem der DFB in den letzten Jahren in einige Fettnäpfchen getreten ist, könnte das angeknackste Image von der Kampagne profitieren. Die Weltmeisterschaft in Katar samt den verpassten Bekenntnissen zu Menschenrechten warfen kein gutes Licht auf den Verband. Daher ergibt sich die Frage, wie glaubwürdig die PR in diesem Fall wirklich ist. Markenexperte Marcel Loko  äußert im Spiegel entsprechende Bedenken: „Ich frage mich, ob die Intention nicht zu durchsichtig ist. Auf mich wirkt es zu anbiedernd, zu hey-wir-sind-cool-artig.“ Klar ist: Reichweite für selbst produzierte Inhalte ist immer nützlich. Mit den Botschaften und Werten, für welche die Trikots stehen sollen, werden sowohl der Sportausstatter als auch der DFB sicherlich gerne in Verbindung gebracht.

Die zentralen Erfolgsfaktoren der EM-Kampagne:

  • Ein kreativer und unkonventioneller Ansatz polarisiert und regt zu Diskussionen an. Das führt dazu, dass die Menschen über das Produkt sprechen und ihm ihre Aufmerksamkeit schenken.
  • Starke Themen verhelfen der Kampagne zu einer Relevanz, die über den eigentlichen Kern der Sache hinausgeht. Indem das Trikot unter anderem für Vielfalt und Offenheit steht, wird es zu mehr als einer Sportausstattung.
  • Adidas antizipiert Kritik und bindet sie geschickt in die eigene Strategie mit ein. So lenkt man den Diskurs in eine gewünschte Richtung und behält die Deutungshoheit.
  • Der Einsatz prominenter Personen erhöht die Reichweite und verleiht den Botschaften ein Gesicht. Die Authentizität der Mitwirkenden ist hier entscheidend für die Glaubwürdigkeit der Kampagne.
  • Eine zeitgemäße und authentische Ansprache der Zielgruppe sorgt dafür, dass diese sich eher mit der Kampagne beschäftigt. Es zahlt sich also aus, genau zu analysieren, wen man erreichen möchte und wie das bestmöglich gelingt.

Unser Fazit zur Kampagne

Indem die Kampagne gesellschaftlich relevante und aktuelle Themen in den Mittelpunkt stellt, könnte es gelingen, neue und sogar zuvor verlorene Zielgruppen zu erreichen. Mit diesen scheint man sich intensiv beschäftigt zu haben. Die gewählten Umgebungen, das für Smartphones gut geeignete 9:16-Format und der Mix aus Fußball und Kultur treffen den aktuellen Zeitgeist. Die Einbindung von authentischen Stars mit ausländischen Wurzeln aus Fußball und Popkultur, die sich für Toleranz und Vielfalt aussprechen, harmoniert zudem mit der Storyline der Spots. Durch die lockere und ironische Art im Umgang mit Kritik möchte Adidas dafür sorgen, dass nichts nach erzwungener PR und Gefallsucht aussieht. Dieser Plan scheint aufzugehen. Über ein Jahr Vorlaufzeit und intensive Planung sorgen für eine Kampagne, die das Zeug hat, Menschen zu begeistern. Stand jetzt scheint den beteiligten Parteien mit der kreativen Strategie ein echter Coup gelungen zu sein, was sich auch in den hohen Absatzzahlen widerspiegelt.

Ob dieser Eindruck langfristig Bestand hat, bleibt aber noch abzuwarten. Kleine Fehltritte reichen oftmals schon aus, um die Glaubwürdigkeit und damit den Erfolg einer PR-Kampagne zu gefährden. So musste der Verkauf von EM-Trikots mit der Nummer 44 bereits eingestellt werden, da das Design der Zahlenkombination starke Ähnlichkeiten mit Symbolen aus NS-Zeiten aufweist. Ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist, dass der sportliche Erfolg entscheidend dafür sein kann, wie wir in Zukunft auf die Trikots zurückschauen werden. Fest steht: Egal, was man über die neue Ausrüstung der Nationalspieler denkt, sie werden darin auflaufen. Unter dem zweiten Kampagnenclip hält ein User passenderweise fest: „Der Adler auf der Brust macht es zum Deutschlandtrikot“.

Foto: Adidas

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