Veröffentlicht am: 18. Mai 2017Von: Kategorien: PR

History Communication führt in der Unternehmenskommunikation oft ein mauerblümchenhaftes Dasein. Doch Archive sind mehr als verstaubte Aktenberge im Untergeschoss von Unternehmenszentralen. Sie können das Fundament für die künftige Ausrichtung der Kommunikation bilden. Man müsse den Schatz der eigenen Unternehmensgeschichte nur bergen, sagt Matthias Koch, studierter Zeithistoriker und PR-Berater (DAPR), im Interview mit Tobias Patzkowsky.

Herr Koch, Historiker und Unternehmenskommunikation: Passt das aus Ihrer Sicht zusammen?
Nur bedingt. Das sagt mir zumindest meine Erfahrung. Historiker sind klasse Menschen, wenn es darum geht, Quellen zu sichten und auszuwerten, Unternehmensgeschichte systematisch zu erforschen. Sie sind aber sicherlich die Falschen, um Geschichte für die Öffentlichkeit greifbar zu machen. Das setzt eine redaktionelle Aufarbeitung voraus. Nach meiner Erfahrung sind Historiker keine geborenen Schreiber. Da sind Menschen mit redaktionellem Verständnis und journalistischer Schreibe gefragt. Das würde der History Communication sicher gut tun.

Ist das der Grund, warum History Communication in Unternehmen noch immer ein Schattendasein führt?
Soweit würde ich nicht gehen. Heute gibt es sicherlich schöne Beispiele, die zeigen, wie sich die eigene Geschichte für die Positionierung eignet. Zwei Beispiele dazu: Nach der Wiedergründung des einstmals größten Gitarrenherstellers Europas Framus – in den 1970er-Jahren war das Unternehmen pleite gegangen – ließ der Sohn des ehemaligen Firmeninhabers die Geschichte komplett aufarbeiten und eröffnete ein Firmen-Museum, das heute zur Route der Industriekultur zählt. Die Sparkasse Bremen zeigte mit einer History-Kampagne rund um die Böttcherstraße, die heimliche Hauptstraße Bremens, deren Erhalt die Sparkasse bis heute fördert, ihre Gemeinwohlorientierung. Sie zahlte immens auf das Markenimage ein.

Die Unternehmensgeschichte eignet sich zur Positionierung in Gegenwart und Zukunft

Das sind sicherlich Leuchtturmbeispiele: Woran scheitert die breite Unternehmenslandschaft bei History Communication?
In zahlreichen Unternehmen, sicherlich vor allem eher im Mittelstand, wo die Budgets für Kommunikation allgemein kleiner sind, geht der Wert der eigenen Geschichte im Alltag eher unter. Klar, man befindet sich in der x-ten Generation in einem Familienunternehmen und der Tradition sieht man sich verpflichtet, einen attraktiven Umgang mit Geschichte findet man aber selten.

Sie sprechen sicherlich die Chronik als meist gewähltes Instrument der History Communication an.
Das kann man so sehen. Unternehmen besinnen sich vielfach dann auf die History Communication, wenn ein Jubiläum vor der Tür steht. Dann ist die Chronik für viele zu allererst das Mittel der Wahl. History Communication kann aber mehr.

Nämlich was?
History Communication ist nicht nur eine einzelne Maßnahme im Rahmen der Aufarbeitung von Unternehmensgeschichte. History Communication bezeichnet ein Konzept, Geschichte und historische Themen aus dem Unternehmen als integralen Bestandteil der Unternehmenskommunikation zu fassen. Das Themenfeld schließt sowohl Aspekte der Markenbildung und Corporate Identity als auch Aspekte der klassischen Public Relations ein.

History Communication ist immer ein Konzept, keine Einzelmaßnahme

Das klingt nach großer Kommunikationsstrategie und einer umfassenden Umsetzung – in vielen Unternehmen dürfte es tatsächlich an den Budgets scheitern, das große Rad zu drehen. Kurzfristig dürfte es nicht gerade auf Absatzziele und Wachstumsstrategie einzahlen.
Fakt ist: History Communication ist auch ein Kostenfaktor. Keine Frage. Sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, benötigt Zeit – vor allem, wenn man den Prozess der History Communication erst ganz neu anstößt. An der Schnittstelle zwischen Unternehmenskommunikation und Firmenarchiv braucht History Communication ein entschiedenes Mehr, um richtig aufzublühen: ein Mehr an Aufmerksamkeit seitens der Kommunikationsverantwortlichen, ein Mehr an strategisch-konzeptioneller Denke und auch ein Mehr an Budget.

Das ist ehrlich. Welchen Benefit haben Unternehmen aus Ihrer Sicht?
Der Clou von History Communication besteht für Unternehmen darin, sich der eigenen, einmaligen und damit unverwechselbaren Vergangenheit, ihrer Wurzeln und auch ihrer Werte bewusst zu werden. Dieser historische USP ist letztlich der Boden, auf dem Firmen ihre Reputation begründen, Marken gestaltet werden, Mitarbeiter ihre Loyalität zum Arbeitgeber entwickeln und Kommunikationsprofis tief verankerte Corporate-Themen finden. History Communication ist die Basis für Zukunftsentwürfe. Ich halte es da mit dem deutschen Philosophen Odo Marquard: „Zukunft braucht Herkunft.“ Gut gemachte History Communication schafft es, die Retrospektive mit der Zukunftsperspektive eines Unternehmens zu verbinden,  und zwar, indem Geschichten – dahinter steht immer Storytelling – erzählt werden über Produkte, Dienstleistungen und Ideen. Und vor allem über die Menschen, die dahinter stehen.

Jetzt wird es konkret. Trotz Ihrer anfänglichen Kritik: Wie sehen Sie denn das Firmenjubiläum?
Es kann tatsächlich die Initialzündung sein, sich bewusst mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Schließlich steht der Kommunikationsabteilung zumeist ein Extra-Jubiläumsbudget zur Verfügung. Dabei kommt es aber darauf an, über das Jubeljahr hinauszudenken und History Communication in der Unternehmenskommunikation zu implementieren. Wer zum Beispiel zu diesem Anlass nicht nur ein Buch erstellt, sondern eine Fortsetzungsstory im Intranet oder in der Mitarbeiterzeitschrift spielt, erfüllt schon einmal besser diesen Ansatz.

Was sind denn diese Themen in der History Communication?
Die Palette ist breit gefächert. Es kommt in erster Linie darauf an, unter welchen Aspekten man seine Firmengeschichte betrachten will. Evonik hat beispielsweise eine Wanderausstellung zum Thema „Frauen im Konzern“ initiiert. Die Aufarbeitung findet sich bis heute im Geschichtsportal von Evonik. Sie sehen, es gibt durchaus alternative Herangehensweisen. Klassischerweise stehen aber überwiegend die Themen

  • Gründungs- und Entwicklungshistorie,
  • Produkte und Produktnamen,
  • die Region und der Standort,
  • Werte und Legenden,
  • Innovationen oder
  • Symbole, Logos und Bilder

im Mittelpunkt. Über die Erzählung von Teilgeschichten aus diesen Bereichen gelangen Unternehmen zur Gesamtdarstellung der Unternehmenshistorie. Diese machen das Heute anschlussfähig an die eigene Herkunft.

Für die Einbindung von Geschichte in das Heute dürfte es für Unternehmen sehr schwierig sein, wenn sie Leichen im Keller versteckt halten. Viele Unternehmen haben durchaus eine unrühmliche Vergangenheit. Die History-Themen sind doch sicherlich auch mit Risiken verbunden.
Sie sprechen die NS-Vergangenheit an. Viele Traditionsunternehmen haben zumindest Zwangsarbeiter in ihren Betrieben eingesetzt. Heute reicht es sicher nicht nur, in den Zwangsarbeiterfonds des Bundes einzuzahlen. Wenn man sich nicht aktiv mit der eigenen Rolle in der NS-Zeit auseinandersetzt, kommt die Zahlung alleine in der Öffentlichkeit eher als Freikaufen an.

Vorbereitung: besonders auf kritische Themen

Das heißt: volle Offenlegung der eigenen Verfehlungen?
Nein, so einfach ist es sicherlich nicht. Unternehmen müssen ohne Anlass nicht direkt nach außen gehen. Intern sollte man sich aber so aufstellen, auf alle Fragen – und irgendwann werden sie sicher kommen – vorbereitet zu sein. Und dann muss man sich natürlich auch positionieren in diesen Fragen. Bei den Risiken geht es aber nicht nur um die NS-Zeit. Es geht auch um inkorrektes Verhalten des eigenen Managements. Die Spannweite reicht von schlichter Kriminalität bis hin zu den Grauwerten politisch inkorrekten Verhaltens. Unkluges Ignorieren kann sich zu veritablen Kommunikationskrisen ausweiten. Die kritische Aufarbeitung reduziert diese Risiken erheblich.

Der emeritierte Leipziger Kommunikationswissenschaftler Günter Bentele datiert den Beginn der modernen Public Relations auf den Wiener Kongress 1814/15. Strategische Kommunikation ist wohl aber so alt wie die Menschheit selbst. Haben Sie als Historiker unter PR-Aspekten eine Lieblingsfigur in der Weltgeschichte?
Vielleicht nicht meine Lieblingsfigur in der politischen Geschichte, aber eine sehr bemerkenswerte ist für mich Otto von Bismarck. Er hat beispielsweise mit seiner „Emser Depesche“ sicherlich auch ein Stück Public-Relations-Geschichte, im Sinne von „Spin Doctoring“, geschrieben. Wenn Sie in die Welt der Unternehmensgeschichte blicken, ist meines Erachtens eine besonders eindrucksvolle Persönlichkeit Berthold Beitz, dem es unter anderem gelungen ist, das Unternehmen Krupp vom Negativ-Image einer Nazi-Rüstungsschmiede zu befreien und zu einem Industrie-Konzern umzuformen. Er hat seine gesellschaftliche Verantwortung als Firmenchef beispielhaft wahrgenommen, ohne die Krupp-Vergangenheit zu leugnen.


Matthias Koch:

Matthias Koch ist freier PR-Berater (DAPR) sowie History-Communication- und Public-Affairs-Consultant. Der studierte Zeithistoriker und langjährige Kommunikationsberater unterrichtet an diversen Hochschulen und Weiterbildungsinstituten, darunter die Deutsche Presseakademie. Im Themenfeld History Communication bietet Koch regelmäßig Coachings, Vorträge, Workshops sowie Seminare an.

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zum Autor

Tobias Patzkowsky

Tobias Patzkowsky ist PR-Manager bei Sputnik. Schwerpunktmäßig betreut er Industrieunternehmen bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Nach langjähriger freier Mitarbeit bei regionalen Tageszeitungen und Studium in Münster absolvierte er ein Volontariat bei der WAZ-Gruppe (heute Funke-Medien-Gruppe). 2012 wechselte er nach Stationen bei regionalen Tageszeitungen zu Sputnik.